„Wenn Menschen hinter mir stehen, ist das für mich die beste Therapie!"

Nach seiner HIV-Diagnose vor 30 Jahren dachte Abbas, sein Leben sei vorbei. Heute leitet er eine Großküche in München, ist Vater zweier Söhne und hat ein Netzwerk für HIV-positive Menschen aus Afrika mit aufgebaut. Gegen Diskriminierung wegen HIV und seiner Hautfarbe wehrt sich Abbas – mit Aufklärung und Humor.

Eine Person mit schwarzer Brille, blauen Cap und blauen Polo-Shirt steht vauf einer Straße. Hinter ihm sieht man grüne Bäume und ein braunes Haus.

Abbas, als du vor rund 30 Jahren nach Deutschland gekommen bist, hat dich erstmal eine verstörende Nachricht erreicht. Was ist passiert?

Ich bin damals von Togo aus nach Bayern gekommen. Dort mussten sich alle Migranten auf HIV testen lassen, egal ob sie wollten, oder nicht. Bei mir war der Test positiv. Ich hatte schon eine Weile HIV gehabt, ohne es zu wissen.

Wie bist du damals damit umgegangen?

Das war ein echter Schock. In meiner Heimat galt ein positiver HIV-Test als Todesurteil. HIV bedeutete, an Aids zu sterben. Also dachte ich, auch meine Zukunft sei zerstört. Ich lebte damals in Neu-Ulm. Auf der anderen Seite der Donau liegt Ulm. Beide Städte sind durch eine Brücke verbunden. Nachdem ich die Diagnose bekommen habe, dachte ich: Ich springe von dieser Brücke! Zweimal war ich dort. Ich weiß nicht, was mich abgehalten hat.

Es gab damals noch keine wirksamen Medikamente gegen HIV wie heute. Die Lebenserwartung schien tatsächlich sehr begrenzt zu sein. Wie hast du zu neuem Lebensmut gefunden?

Die Aidshilfe in Ulm hat mir neue Hoffnung gegeben. Ich bin zu Selbsthilfe-Treffen gegangen, zum Beispiel zum Brunch. Dort habe ich gesehen: Die Leute mit HIV sind ja ganz normal! Alle dort waren sehr nett, haben mich unterstützt. Daraufhin habe ich mir gesagt: Okay, ich bin HIV-positiv. Ich muss das akzeptieren. Und ich muss selbst aktiv werden.

Du hast dann viel auf die Beine gestellt.

Als ich später nach München gezogen bin, wollte ich auch anderen Leuten Mut machen und ihnen helfen, ihre Diagnose zu akzeptieren. Ich habe eine Selbsthilfegruppe für Menschen mit HIV aus Afrika gegründet. Erst haben wir uns bei mir zu Hause getroffen. Dann hat uns die Aidshilfe einen Raum zur Verfügung gestellt. Heute haben wir ein Netzwerk in ganz Deutschland, AfroLebenPlus.

Das klingt toll! Aber wie hattest du damals in Ulm überhaupt von der Aidshilfe erfahren?

Schon an dem Tag, als ich das Ergebnis bekommen habe, hat mich die Aidshilfe Ulm zu einem Treffen eingeladen. Damals sprach ich noch kein Deutsch, aber eine Beraterin sprach französisch. Ich hatte so viele Fragen! Sie hat sie mir alle beantwortet und viele gute Ratschläge gegeben. Sie hat mir auch Briefe übersetzt, die ich von Behörden oder der Krankenkasse  bekommen habe. Über sie habe ich auch einen guten Arzt kennengelernt. Ich gehe bis heute zu ihm.

Du arbeitest heute als Koch. Wissen die Menschen an deinem Arbeitsplatz von deiner Infektion?

Auf der Arbeit habe ich bislang nur mit meinem Vorgesetzten darüber gesprochen. Er weiß Bescheid und für ihn ist das kein Problem.

Wie war das Feedback deiner Freunde?

Manche hat die Nachricht anfangs so richtig mitgenommen. Aber ich habe ihnen gesagt, dass ich kein Mitleid brauche, sondern Unterstützung und ein gutes Gefühl.

Wissen alle Menschen in deinem privaten Umfeld Bescheid?

Bei weitem noch nicht alle. Wenn mein Foto jetzt überall sichtbar wird, werden viele meiner Bekannten gar nicht glauben, dass ich positiv bin.

Warum nicht?

Sie sehen im Alltag, dass es mir gut geht. Aber in unserer afrikanischen Community denken viele immer noch: Wer von einer HIV-Infektion betroffen ist, der ist schon fast tot. Das ist auch einer der Gründe, warum ich hier mitmache. Ich will zeigen: HIV ist behandelbar, man kann damit gut und lange leben. Alles machen, was man möchte. Eine gute Arbeit finden, eine Familie gründen, Kinder haben. Ich habe zwei Söhne. Einer ist 21 Jahre alt und der andere gerade 19 Jahre alt geworden.

Du stellst dich auf viele Fragen aus deinem Umfeld ein?

Viele in meiner Community schieben das Thema weit weg. Sie werden schockiert sein, wenn sie realisieren: Abbas hat HIV. Denen will ich zurufen: Stopp! Auch dein Nachbar oder deine beste Freundin könnten es haben. Wir müssen alle zusammenhalten.

Hast du schon negative Reaktionen erlebt?

Ja, leider. Ich habe zum Beispiel einem Cousin erzählt, dass ich positiv bin. Als ich zwei Wochen später wieder bei ihm war, hatte sich etwas verändert. Die Stimmung war nicht mehr wie früher. Ich habe ihn dann zu mir nach Hause eingeladen, aber er hat die Einladung nicht angenommen. Seit zwölf Jahren nicht. Das hat mich wirklich verletzt. Er war vorher ein Mensch, mit dem ich über alle Probleme sprechen konnte.

Was glaubst du, warum hat er so reagiert?

Ich glaube, er hat Angst. Mit HIV hatte er bisher nichts zu tun. Einmal hat er mich gefragt: Stimmt das wirklich, das mit deiner Infektion? Er glaubte mir nicht. Ich habe versucht, ihm mehr zu erzählen. Zu den Medikamenten, die ich nehme. Ich dachte, das bringt ihn dem Thema vielleicht näher. Aber es hat nichts gebracht.

Hast du auch in der Öffentlichkeit Diskriminierung erfahren?

Sogar auf mehreren Ebenen. Erstens aufgrund meiner Hautfarbe. Und zweitens aufgrund der HIV-Infektion. Einmal kam ich wegen starken Nasenblutens ins Krankenhaus. Das hatte nichts mit HIV zu tun. Dem Personal im Krankenwagen hab ich gesagt, dass ich HIV-positiv bin, damit sie vorsichtig sein können. Ich dachte, sie sind Fachleute und können damit umgehen. Aber als wir im Krankenhaus ankamen, haben sie laut durch die ganze Notaufnahme gerufen: „Passt auf! Er ist HIV-positiv!“ Ich konnte es nicht glauben.

Wie ist dann das Klinikpersonal damit umgegangen?

Ich dachte wieder: Sie müssten sich damit so gut auskennen wie ich. Aber sie hatten trotzdem Angst vor mir. Ich war fast zwei Wochen dort, weil ich operiert werden musste. Und ich habe bemerkt: Wo auch immer ich hinging, alle wussten schon Bescheid. Dabei gibt es dafür doch keinen Grund. Mit normalen Vorsichtsmaßnahmen kann man eine Infektion ausschließen. Und da ich Medikamente nehme, ist HIV bei mir sowieso nicht mehr übertragbar.

Du hast gerade angesprochen, dass du auch wegen deiner Hautfarbe diskriminiert wurdest. Was ist passiert?

Das passiert mir im Alltag häufiger. Ein Beispiel: Ich leite beruflich eine Großküche. Wir kochen täglich für Tausende Menschen. Manchmal fragen mich Lieferanten, ob sie mal den Chef sprechen können. Sie können sich wohl nicht vorstellen, dass ich das bin. Weil ich schwarz bin, denke ich.

Wie reagierst du in solchen Situationen?

Ich sage: „Moment bitte, ich hole ihn.“ Dann gehe ich kurz raus, komme wieder rein und sage: „Sie wollten mich sprechen?“(lacht) Ich mache Vorurteile nicht mit und lasse sie merken, dass sie falsch liegen.

Das funktioniert aber sicher nicht bei jeder Form von Diskriminierung.

Nein, manche Situationen sind einfach zu heftig. In der Straßenbahn habe ich einmal erlebt, wie ein Mann mit einer Beinprothese das Gleichgewicht verlor. Ich habe ihm meine Hand gereicht, damit er nicht stürzt. Aber er brüllte laut durch die ganze Straßenbahn: "Finger weg! Die schwarze Hand darf mich nicht anfassen!" Ich habe ihm gesagt, dass ich nur helfen wollte. Aber selbst als er tatsächlich auf dem Boden saß, schimpfte er weiter: "Warum wolltest du schwarzer Mann mich anfassen?"

Wie ging es dir nach dieser Situation?

Das war wirklich schlimm für mich. Eine Frau hat mich unterstützt. Sie sagte, es gebe einfach solche Leute, ich solle das nicht ernst nehmen. Ich selbst habe mich vor allem gefragt: Was, wenn er gewusst hätte, dass ich HIV-positiv bin? Was wäre dann passiert? Was hätte er gemacht oder was hätte er machen wollen?

Diskriminierung wegen HIV und Hautfarbe hängen oft zusammen. Schwarzen Menschen wird zum Beispiel oft unterstellt, dass sie HIV-positiv seien. Was würdest du Menschen, die so denken, gerne sagen?

Ich möchte einfach genauso behandelt werden, wie alle anderen Leute auch. Leider erlebe ich so etwas in der Öffentlichkeit immer wieder. Aber auch innerhalb unserer Communitys gibt es Diskriminierungen.

Erzähl mal.

Eine Bekannte hat in einem Wohnheim für Asylsuchende gelebt. Ein anderer Mensch in diesem Wohnheim hat ihr offizielle Briefe übersetzt. Innerhalb kürzester Zeit wussten alle im Heim, dass sie HIV-positiv ist. Leute begannen, jeden Morgen Spülmittel und Desinfektionsmittel vor ihrer Zimmertür auszuschütten. Wir haben es schließlich geschafft, sie in ein anderes Heim zu bringen. Jetzt geht es ihr gut.

Sind es Unwissenheit und Ängste, die zu so krasser Diskriminierung führen?

Ja. Es ist an der Zeit, dass wir allen zeigen: HIV muss kein großes Thema mehr sein. Ich lebe sehr gut mit HIV. Alles ist ganz normal. Meine Frau ist HIV-negativ. Sie hat mich akzeptiert, wie ich bin. Meine Therapie läuft völlig problemlos. Ich will zeigen: Es können alle betroffen sein, ohne dass es überhaupt jemand anders merkt. Wir müssen gegen die Ängste arbeiten und das Wissen verbreiten. So können sich alle schützen und Menschen mit HIV unterstützen.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ganz einfach: dass Diskriminierung weniger wird. Ob in der Gesellschaft, in der Bürokratie, in verschiedenen Communitys: Überall, wo Menschen zusammenkommen, sollten wir einander willkommen heißen. Egal ob schwul oder hetero, ob schwarz oder weiß, ob positiv oder negativ.

Welche Lehren können wir aus deinen Erfahrungen ziehen?

Wie wichtig Unterstützung ist. Wenn drei Leute sagen: "Abbas, wir stehen hinter dir. Wir kämpfen mit dir!", dann ist das für mich die beste Therapie.

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