„Mein HIV-Test war ein totales Desaster“

Barbie Breakout, 45, ist eine Person mit vielen Talenten und mehreren Gesichtern: Durch Drag Race Germany wurde sie zu einer der wenigen HIV-positiven Prominenten weltweit. Für Film, Fernsehen und Fotos arbeitet sie als gefragter Make-Up-Artist. Über ihr Leben mit HIV sprach sie sogar bei Shopping Queen. Doch so selbstbewusst wie heute war die langjährige HIV-Aktivist*in nicht immer.

Eine Person mit einem rosa gemusterten Hemd und Glatze sitzt an einem Schminktisch und schaut in die Kamera, hinter der Person sieht man mehrere Glitzer Kostüme auf einer Kleiderstange hängen.

Barbie, du siehst auf unseren Plakaten nicht aus wie im Fernsehen oder auf der Bühne, hast dich aber entschieden, dass wir dich auch hier Barbie nennen sollen. Wie definierst du dich?

In Ermanglung eines besseren Wortes zwischen „genderfluid“ und „nicht-binär“. Ich empfinde mich weder klar als Mann noch klar als Frau, sondern irgendwo dazwischen. Manchmal eher das eine, manchmal eher das andere, manchmal auch gar nichts.

Wie möchtest du angesprochen werden?

Ich präferiere Barbie und weibliche Pronomen, weiß aber auch, dass es für manche Leute sehr anstrengend ist, wenn man mich so im Alltag sieht. Ich bin da nicht so pedantisch und bestehe nicht darauf. Was ich allerdings hasse, ist, wenn ich in Drag bin und Leute mich mit „Hallo, Timo!“ begrüßen.

Barbie, seit wann weißt du, dass du HIV-positiv bist?

Ich habe mich 2005 infiziert, da war ich siebenundzwanzig.

Da gab es schon viel Wissen über HIV und wirksame Medikamente. Wie gut warst du informiert?

Sehr gut. Ich habe mich immer mit dem Thema auseinandergesetzt, weil ich meinen ersten HIV-positiven Freund schon mit vierzehn, fünfzehn hatte. Ich hatte viel gelesen, habe sogar mein erstes Praktikum bei der AIDS-Hilfe in Frankfurt gemacht. Ich war nah dran am Thema und hatte alle Informationen, um mich zu schützen. Ich war einfach unvorsichtig, habe einige Male kein Kondom benutzt.

Wie hast du von deiner Infektion erfahren?

Eines Abends habe ich im Berghain ein schwules Pärchen getroffen, das ich ganz hot fand. Der eine war Heilpraktiker und ganz offen positiv. Ich wollte wissen, wie er das festgestellt hatte, und er erzählte von geschwollenen Lymphknoten an seinem Körper, die sich nicht mehr zurückgebildet hatten. Ich bin nicht sonderlich gut im Flirten und habe ihn gefragt: „Willst du mal meine Lymphknoten abtasten?“ Er darauf: „Klar!“ Er tastet also an mir rum und hat plötzlich einen ziemlich besorgten Gesichtsausdruck: „Die sind alle ziemlich dick. Vielleicht solltest du dir mal einen Termin geben und dich testen lassen!“ Da war die Situation plötzlich gar nicht mehr so sexy.

Wie ging es weiter?

Gleich am nächsten Tag habe ich bei meiner damaligen Hausärztin einen Test gemacht. Die Abholung des Ergebnisses ein paar Tage später war ein totales Desaster. Im Wartezimmer denkt man sowieso, jeder Blick hätte etwas zu bedeuten. Während ich dort saß, hat die Sprechstundenhilfe die Ärztin aus ihrem Sprechzimmer rausgeholt, dann haben sie mich angeschaut und getuschelt. Dann haben sie noch eine andere Mitarbeiterin dazu geholt, schließlich meinen Namen aufgerufen. Die Sache ist klar, dachte ich mir.

Wie lief dann das Gespräch mit der Ärztin?

Sie war eiskalt, richtig scheiße. Sie hat sich hingesetzt, mir den Zettel mit dem Ergebnis hingeworfen und einfach nur gesagt „Sie sind positiv“. Weiter nichts. Ich habe dann gefragt: „Wollen Sie mir dazu nichts sagen?“ Da wurde sie pampig und meinte: „Dann fragen Sie halt was.“ – „Wow!“, hab ich gedacht. Und dann hab ich ihr gesagt: „Ich gehe lieber zu einem anderen Arzt, bei dem ich weiß, mir wird geholfen.“

Das muss sehr belastend gewesen sein.

Ich war von der Situation total überfordert. Zum Glück kann ich in solchen Momenten eine Art Autopilot anstellen, alles erstmal wegdrücken und nach außen gefasst reagieren. In den folgenden Jahren habe ich aber ganz schön mit der Diagnose HIV zu kämpfen gehabt.

Was ist in dir vorgegangen?

Ich gehöre zu der Generation, für die HIV kein Todesurteil mehr war, es gab schon die Dreierkombination …

…  bei der drei HIV-Medikamente zusammen eingenommen werden, so dass HIV keine Chance mehr hat, sich im Körper zu vermehren …

Genau, alles super eigentlich. Trotzdem hatten wir noch Filme wie „Philadelphia“ im Kopf, alle diese alten dramatischen und leidvollen Bilder von Aids, dieses ererbte Trauma. Obwohl HIV kein Todesurteil mehr war, fühlte es sich so an. Ich hatte diese Ängste, diese Panik. Die ersten sechs Jahre sind in meiner Erinnerung ganz verschwommen. Ich habe viel gefeiert, jede Menge Drogen genommen. Das hatte auch viel mit Selbstbestrafung zu tun. Ich habe mich noch einmal ordentlich an die Wand gefahren.

Welche Hilfe hättest du dir damals gewünscht?

Ich komme noch aus der Zeit, wo Prävention oft mit Angst betrieben wurde. Da sind wir heute weiter. Heute geht es darum, klarzumachen, dass das Leben als Positiver genauso wertvoll und genauso lang sein kann wie ohne HIV. Leben mit HIV war lange „Sterben mit HIV“, dann „Überleben mit HIV, jetzt ist es „Leben mit HIV“. Das ist ein riesengroßer Fortschritt. Ich gebe mir heute auch in meiner aktivistischen Arbeit Mühe, diese alte Angst, die mir vermittelt wurde, nicht weiterzugeben.

Hast du deine Diagnose gleich öffentlich gemacht?

Ich habe es zuerst meinem engsten Freundeskreis erzählt. Ich hätte mich gerne fallen lassen und irgendwo angelehnt. Tatsächlich musste ich aber eher meine Freunde stützen als umgekehrt. Ich hab’s dann meinem Vater gesagt, und der hat super reagiert. Er ist gleich für eine Woche nach Berlin gekommen, und wir haben alles besprochen, was besprochen werden musste. Ich habe ihn sogar zu meinem Arzt gebracht, damit er in Ruhe seine Fragen stellen konnte. Das war perfekt.

Wie bist du zum öffentlichen Umgang mit deiner HIV-Infektion gekommen?

Erstmal unfreiwillig. Eine Freundin hat es weitererzählt und die Info ging schnell rum in der Szene. Das war für mich schwer erträglich, weil nur getratscht wurde, mich aber keiner direkt angesprochen hat. Es wurde über mich geredet, statt mit mir.

Wie hast du reagiert?

Ich habe die Leute direkt gefragt, was die Scheiße soll? Es hieß dann immer: „Ja, tut mir leid, ich musste erstmal mit jemand anderem darüber reden …“ Aber ich fand, die bessere Variante wäre schon gewesen, mich direkt anzusprechen.

Wie sah es beruflich aus?

Meiner Agentur habe ich es schon zwei Tage nach der Diagnose gesagt, weil ich nicht wusste, wie gut ich es verkraften würde, und ob ich nicht mal ein, zwei Tage ausfalle und wegfahre. Bei meiner Arbeit als Maskenbildner gab es keinen Grund, es irgendeinem Model zu erzählen. In professionellen Situationen spielt HIV ja keine Rolle. Zugleich war es kein Geheimnis, es steht auf meinem Instagram-Profil.

Wie hat dein berufliches Umfeld reagiert?

Die Bookerin hat gesagt: „Tut mir leid für dich, brauchst du irgendwas?“ Das war optimal. Die Agenturchefin hat es immer den neueingestellten Bookerinnen erzählt: „Also, der Timo ist übrigens positiv, das musst du wissen.“ Bis mal jemand sagte: „Warum erzählst du mir das jetzt? Warum sollte das wichtig sein?“ Da hat sie sich beim Tratschen ertappt gefühlt. Ein Ausschlusskriterium war es jedenfalls nie.

Hat sich die Einstellung zu deiner Infektion im Lauf der Zeit verändert?

Zuerst war da ein gewisser Ekel vor mir selbst, vor meinem Körper, was darin jetzt so alles herumschwimmt. Ich konnte mir anfangs nicht mal mehr einen runterholen. Ich habe bestimmt ein Jahr lang keinen Sex mehr gehabt, denn ich wollte niemanden in Gefahr bringen. Dann setzte so eine Art magisches Denken ein: Ich war nicht auf Therapie und habe elf Jahre lang gehofft, dass mein Körper allein mit HIV klarkommt.

Lange Zeit war wissenschaftlich noch nicht so klar wie heute, dass eine HIV-Infektion so früh wie möglich behandelt werden sollte, unabhängig von den Blutwerten, die das Immunsystem und die HIV-Infektion betreffen.

Meine medizinischen Werte waren sehr gut und ich war fit. Irgendwo im Hinterkopf saß die Hoffnung, dass der Kelch an mir vorübergeht. Aber nach etwa zehn Jahren verschlechterten sich die Werte langsam, und der Arzt stellte die berechtigte Frage: „Worauf wartest du eigentlich?“ Zwei Tage später habe ich dann mit der Therapie angefangen.

Wie ging es dir damit?

Nebenwirkungen hatte ich so gut wie keine, außer anfangs ein bisschen Durchfall. Es war auch nicht der schlimme Moment, den ich mir ausgemalt hatte. Meine Vorstellung war gewesen, ich müsste mir dann eingestehen, diese Krankheit habe Macht über mich und ich wäre gescheitert. So kam es nicht, es war schlicht eine pragmatische Entscheidung.

HIV ist unter Therapie auch nicht mehr übertragbar.Hat sich durch die Medikamente deine Einstellung zur Sexualität verändert?

Nicht wirklich. Wenn mich jetzt jemand ohne Gummi ficken will, muss ich nicht mehr wie früher erklären, warum das Kondom unbedingt sein muss. Ich kann sagen „Let’s do it!“ und alles ist fein. Aber das ist auch der einzige Unterschied.

Siehst du dich als HIV-Aktivist*in?

Ja. Ich nutzte die Plattformen, die ich mir aufgebaut habe, um aufzuklären und das Stigma zu beseitigen. Dazu gehört zum Beispiel die Information, dass HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar ist. Ich habe in meinem Buch „Tragisch aber geil“ darüber geschrieben, war in der Kampagne ICH WEISS WAS ICH TU der Deutschen Aidshilfe dabei, thematisiere HIV auch immer wieder in den Podcasts „Tragisch aber geil 2.0“ und „2old2 die young“. Bei einem Fernsehauftritt in „Shopping Queen“, in einer Folge über Drag, habe ich ständig über HIV gesprochen und sehr bewusst ein T-Shirt mit einem Aids-Memorial getragen, damit sie das nicht rausschneiden konnten.

Hat Du Diskriminierungserfahrungen?

Habe ich auf jeden Fall beim Daten. Auch in Social Media habe ich viele negative Erfahrungen gemacht. Da wird dann geschrieben: „Du bist eine Aids-Hure“ oder sowas. Die Leute wollen mich klein machen und beleidigen.

Wie gehst du damit um?

Diskriminierung kann man sich abschminken. Solche Leute werden sofort geblockt. Die geilen sich hinter anonymen Profilen daran auf, andere zu verletzen. Mit solchen Leuten kann man nicht diskutieren. Also: Blocken, löschen, weitermachen.

Hast du einen Tipp, wie man genügend Selbstbewusstsein tankt, um offen mit seinem positiven HIV-Status umzugehen?

Ich finde es sehr klug, erstmal besonnen damit umzugehen. Niemand muss sich outen. Du kannst selbst bestimmen, wem du es sagen willst! Wenn man das Gefühl hat, man möchte sich Menschen anvertrauen: Why not? Wenn das Angst auslöst, würde ich raten zu prüfen, ob die begründet ist oder einfach nur irrational. Ob man sich etwas hat einreden lassen. Bei irrationalen Gründen würde ich sagen: Trau dich! Was soll schon passieren? Öffne dich den Menschen um dich herum, den Menschen, die du liebst. Das ist ein guter Anfang.

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