VINE CHAN, selbst HIV-positiv, hat in Kambodscha eine Hilfsorganisation für Menschen mit HIV gegründet. Sie hilft beim Zugang zur HIV-Therapie. Doch jetzt fehlt aufgrund globaler Kürzungen bald das Geld.
Vine, wie ist damals HIV in dein Leben gekommen?
Mein Mann und mein Sohn sind an Aids gestorben. Mein Sohn wurde 1995 geboren und nur einen Monat alt. Er wurde plötzlich sehr krank, aber wir wussten nicht, was es war. Das habe ich erst später erfahren. Ich habe noch eine Tochter, die ich nicht gestillt habe. Sie ist HIV-negativ.
Wann hast du denn erfahren, dass du selbst HIV-positiv bist?
Erst kurz nachdem mein Mann im Jahr 2000 gestorben war. Ich hatte ihn gepflegt bis zum Schluss. In Kambodscha müssen Angehörige ihre Familienangehörigen im Krankenhaus selbst pflegen. Das wird keine Krankenschwester erledigen.
Und du wusstest nicht, dass du selbst HIV-positiv warst?
Nein. Mein Mann hatte schon länger gewusst, dass er infiziert war. Aber er hat mich belogen. Alle haben mich belogen, auch die Ärzte. Aber kurz darauf wurde ich selbst schwer krank. Ich hatte mich bei ihm mit Meningitis infiziert. Da wurde dann ein Test gemacht. Mein Immunsystem war durch HIV schon zerstört.
Wie ging es dann weiter?
Ich lag im selben Zimmer, in dem auch mein Mann gelegen hatte. In dem Krankenhaus sind damals jeden Tag 100 Leute gestorben. Es gab keine Medikamente, keine spezialisierten Ärzt*innen. Es war schrecklich.
Aber du wurdest gerettet?
Durch ein erstes Programm von Ärzte ohne Grenzen mit 150 Therapieplätzen. Ich war Nummer 75. Einige Zeit später habe ich dann selbst für Ärzte ohne Grenzen gearbeitet. Doch einige Zeit später wurde ich wieder krank, ich hatte eine Hepatitis C.
Auch diese Krankheit war damals noch nicht gut behandelbar – schon gar nicht in Kambodscha.
Ich ging davon aus, dass ich sterben würde. Aber ich wollte vor meinem Tod noch den Kölner Dom sehen. Als Touristin bin ich nach Deutschland gereist. Als ich hier war, ging es mir plötzlich sehr schlecht. Ich wurde gerettet und bin sehr dankbar dafür. Mittlerweile bin ich deutsche Staatsbürgerin.
Du hattest vorher in Kambodscha eine Organisation gegründet, die Menschen half, Therapie zu bekommen.
Ja. Ich war vollkommen geschockt von der Situation im Krankenhaus. Warum gab es keine Hilfe? Wir sind doch alle Menschen! Da habe ich mit Hilfe von Ärzte ohne Grenzen AUA gegründet, eine Vereinigung von Menschen, die HIV-Medikamente brauchen, um möglichst vielen zu helfen.
Du hast dazu beigetragen, dass Kambodscha bei der HIV-Versorgung zu einem Vorzeigeland geworden ist.
Bis zur Corona-Zeit hatten wir alles, was wir brauchten. Dann ging alles den Bach runter, was wir über 20 Jahre aufgebaut hatten. Das Gesundheitssystem war überlastet. Und jetzt kommen die Kürzungen dazu. UNAIDS hat dort schon die Arbeit beendet, jetzt fällt USAID weg und das Geld vom Globalen Fonds wird stark reduziert. Das ist Horror.
Was bedeutet das für die Menschen mit HIV dort?
Viele werden ihre Therapie verlieren. Es wird sich wiederholen, was ich damals erlebt habe. Es geht dabei nicht nur um Therapie, sondern auch um Prävention und Testmöglichkeiten. Viele Menschen, darunter viele Jugendliche, wissen nicht, dass sie HIV haben, so wie ich es lange Zeit auch nicht wusste. Teilweise verschweigen Ärzt*innen Pflegeeltern, dass ihre kleinen Kinder HIV-positiv sind. Sie wissen: Die würden die Kinder sonst zurückgeben. Es gibt in Kambodscha keine Waisenhäuser wie hier. Das Stigma ist riesig.
Du bist hier in Sicherheit. Aber wie geht es dir mit dieser Situation?
Es tut weh. Ich bin traumatisiert von dem, was ich erlebt habe, und nun sind all die Erinnerungen zurückgekommen. Ich schlafe nicht mehr gut. Ich kann nicht hier leben und weggucken. Ich habe Verwandtschaft, Familie, Schulkamerad*innen dort.
Wir brauchen Medikamente für alle.
Interview: Holger Wicht