„Ich versuche, Verständnis für HIV-positive Menschen mit HIV zu schaffen“

Als Thomas seine HIV-Diagnose bekam, hat sein Mann ihn unterstützt. Seine Mutter musste dazu lernen, beruhigte sich dann aber schnell. Und bei seiner Arbeit als Sozialarbeiter genießt Thomas volle Akzeptanz. Nur beim Daten schlägt ihm immer wieder Hass entgegen.

Eine Person mit kurzen dunklen Haaren, dunkelblauer Mütze und bunt gemusterten Longsleeve sitzt mit einem Handy in der Hand an einem Stadtbrunnen und schaut in die Kamera.

Du hast deinen Mann schon mit 17 kennengelernt. Da musst du ein sehr frühes Coming-out gehabt haben?

Ja, ich habe mich schon mit 14 vor meiner Familie geoutet und auch vor einem Großteil meiner Freunde. Inzwischen bin ich die Hälfte meines Lebens mit meinem Mann zusammen.

So früh losgelegt und dann gleich eine Langstrecke. Das ist ziemlich ungewöhnlich!

Das höre ich oft in der Szene: „Wow, so lange zusammen, das gibt’s doch gar nicht!“ Für uns ist das aber einfach wunderbar, weil wir so eine schöne Art der Beziehung haben.

Kanntet ihr euren HIV-Status, als ihr euch kennengelernt habt?

Damals waren wir beide HIV-negativ. Wir haben uns dann zwischendurch immer wieder testen lassen, besonders als wir unsere Beziehung geöffnet haben.

Ihr habt eine offene Beziehung?

Ja, und das hat unsere Beziehung intensiviert. Wir haben beispielsweise beide sehr anstrengende Jobs. Wenn der eine mal keine Lust auf Sex hat, kann der andere seine Lust eben auch außerhalb ausleben. Das nimmt Druck raus und wir können besser füreinander da sein. Das enorme Konfliktpotential von Sexualität nimmt in einer offenen Beziehung ab, andere Dinge gewinnen an Bedeutung.

Wie seit ihr mit dem Thema HIV umgegangen, als ihr die Beziehung geöffnet habt?

Wir haben weiter aufs Kondom gesetzt. Ich habe dann aber mal mit einem anderen Partner darauf verzichtet, weil der mir versichert hat, er wäre frisch getestet. Ich empfand das deswegen nicht als Risiko und hab mich darauf eingelassen. Bei meinem Mann kam es dann auch einmal vor, dass er kein Gummi benutzt hat. Da haben wir uns nochmal testen zu lassen, um sicher zu gehen. Er war weiter negativ – und bei mir war das Ergebnis „positiv“.

Hast du damit gerechnet?

Ich hatte eine Vorahnung. Zuerst wurde mein Mann reingerufen und war nach zwei Minuten wieder draußen. Dann war ich an der Reihe und sah als erstes einen Umschlag auf dem Tisch. Ich wusste, eigentlich liegt da nie ein Umschlag, sondern es wird relativ kurz benannt, was Sache ist. Nach der Mitteilung des Ergebnisses durfte ich gleich meinen Mann reinholen. Der machte gerade zufällig für sein Studium ein Praktikum bei der Aids-Hilfe.

Wie hast du das Ergebnis aufgenommen?

Ich wusste, dass es kein Todesurteil mehr ist. Aber es war auf jeden Fall ein Schock. Da kann man alle Infos haben und aufgeklärt sein, aber gewisse Ängste werden doch ausgelöst.

Wie haben die sich geäußert?

Bei mir war es auch ein Ekelgefühl vor mir selbst. Ich habe alles Sexuelle weit von mir geschoben. Sogar bei der Selbstbefriedigung habe ich mich geekelt. In dem Moment denkt man: Sex ist das, was dich krank gemacht hat.

Wie ist dein Mann mit dieser Situation umgegangen?

Durch sein Praktikum bei der Aidshilfe war er relativ entspannt. Er hat mir vermittelt: Wir schaffen das zusammen. Er hätte auch sagen können: Das ist jetzt dein Ding, damit musst allein du klarkommen. Für ihn war aber klar, dass es uns beide betrifft und dass wir damit jetzt leben müssen.

Welche Veränderungen hat das mit sich gebracht?

Zuerst hat das Kondom natürlich auch in der Beziehung wieder zum Spiel dazugehört. Als ich angefangen habe, Medikamente zu nehmen, wurde ich in eine große Studie aufgenommen. So wurde ich sehr engmaschig betreut und meine Blutwerte wurden ständig kontrolliert. Ich habe mich sehr gut aufgehoben gefühlt. Nach nicht einmal einem halben Jahr war HIV in meinem Blut nicht mehr nachweisbar. Heute nehme ich einfach eine Tablette pro Tag, gehe alle drei Monate zur Kontrolle ins Uniklinikum, und damit hat sich die Sache.

Unter der „Nachweisgrenze“ ist HIV ja nicht mehr übertragbar. Welche Schlüsse habt ihr für euer Sexleben daraus gezogen?

Wir haben uns gefragt: Lassen wir das Kondom jetzt wieder weg oder benutzen wir es sicherheitshalber doch noch eine Weile? Er vertraute der Wissenschaft. Und er vertraute mir, dass ich meine Tabletten regelmäßig nehme. Ab diesem Zeitpunkt hat er sich aber wieder regelmäßig testen lassen. Wir waren gut im Gespräch, und zu meinen Untersuchungen im Klinikum ist er auch mitgekommen. Als die PrEP kam, hat er sich entschlossen, sie zu nehmen, um auf der sicheren Seite zu sein.

Bei der PrEP nimmt man ein HIV-Medikament ein, um einer Infektion vorzubeugen. In eurer Beziehung wäre das nicht nötig – „Schutz durch Therapie“ von HIV-positiven Menschen funktioniert zuverlässig. Welche Rolle hat eure offene Beziehung bei der Entscheidung gespielt?

Es war uns ja beiden schon mal passiert, dass wir das Kondom mit anderen Partnern weggelassen hatten. Als dann immer mehr von Safer Sex 3.0 die Rede war, haben wir beschlossen, dass wir uns durch PrEP und meine Medikation schützen. Ansonsten lassen wir uns regelmäßig testen, auch auf andere sexuell übertragbare Infektionen.

Was ist Safer Sex 3.0?

Das bedeutet, dass heute die Wahl zwischen drei Schutzmethoden besteht: dem Kondom, der medikamentösen Propylaxe PrEP und, bei Paaren wie uns, der Schutzwirkung der HIV-Medikamente.

Wie organisierst du deine Sexualität außerhalb der Beziehung?

Über die üblichen Online-Plattformen wie Grindr oder PlanetRomeo.

In deinem Profil bist du offen positiv?

Ja, ich gehe offen um damit.  Aber das war ein Prozess. Zuerst habe ich keine Angabe im Profil gemacht, habe es meinen Partnern aber erzählt, weil ich das wichtig fand. Irgendwann gab es bei den Profilen die Möglichkeit, einfach mit einem Klick anzugeben, dass man positiv und unter der Nachweisgrenze ist.

Eine Übertragung unter Therapie ist nicht möglich. Eigentlich müsstest du es also nicht angeben, oder?

Ich finde es dem anderen gegenüber trotzdem fairer. Letztlich ist die Infektion etwas, was zu mir gehört, sie ist sogar ein Teil meiner Sexualität. Ist ja nicht so, dass ich nur einen Pickel auf der Nase habe, sondern etwas, was für meine Sexualität eine Rolle spielt. Der andere weiß dann auch, dass durch meine Therapie ein Schutz besteht.

Zum Sex gehören zwei. Also müsste auch der andere sich kümmern und von sich aus nachfragen? Geschieht das?

Ja, das haben Leute durchaus gemacht, und auch da war ich immer offen und ehrlich.

Wie reagieren die Leute darauf, dass du in einem Profil angibst, positiv zu sein?

Das kann man grob in drei Kategorien einteilen: Zum einen gibt es aufgeklärte Menschen, die wissen, dass Aids nicht mehr tödlich ist, dass HIV unter Therapie nicht mehr übertragbar ist und keine Einschränkung bedeuten muss. Dann gibt es Leute, die zwar noch nicht so aufgeklärt sind, aber mehr wissen möchten. Da wird dann gefragt: „Wie ist es zu der Infektion gekommen? Was gibt es für Einschränkungen für dich und könnte ich mich beim Sex mit dir anstecken?“ Es gibt wirklich viele, die das noch nicht wissen! Die dritte Kategorie bilden Menschen, die mich einfach ablehnen. Das kann auch beleidigend oder verletzend werden: „Das ist ja widerlich, du Perverser. Was treibt dich hier auf solche Plattformen? Das sollte für dich verboten sein. Fick dich!“

Wie reagierst du darauf?

Bei den 10 Prozent, die einfach nichts mit mir zu tun haben wollen und mich beschimpfen, hilft nur blocken. Aber zunächst versuche ich immer, Verständnis für HIV-positive Menschen zu schaffen. Ich sage dann: „Ich kann verstehen, dass es für dich auf den ersten Blick vielleicht befremdlich ist, aber schau doch mal, so und so sieht die medizinische Lage aus.“

Trifft das auf offene Ohren?

Teils, teils. Natürlich heißt es manchmal: Das kannst du sonst wem erzählen, das will ich nicht wissen. Für manche gilt immer noch: HIV gleich Aids gleich Tod, und sie halten daran fest. Aber bei anderen kommt man doch ein wenig durch.

Warum bist du so liebevoll und geduldig in diesen Situationen?

Es ist mir wichtig, die Leute aufzuklären. Ich bin froh, dass ich bei meiner Diagnose schon relativ umfassend Bescheid wusste. Mir war klar, dass man ganz gut mit HIV leben kann. Das hilft enorm dabei, den Schrecken dieser Krankheit zu entkräften. Es bleibt eine chronische Krankheit, aber sie muss nicht mehr so beängstigend wie früher. Ich möchte dazu beitragen, dass sich das weiter rumspricht.

Das direkte Gespräch ist etwas anderes als eine Aufklärungsbroschüre.

Das stimmt, es ist einfach ein entspannter. Ich bin nicht der Sozialarbeiter von der Aidshilfe oder der Arzt, sondern ich bin einfach Thomas, der etwas von sich erzählt.

Warum ist das eigentlich alles offenbar so schwer zu verstehen – ist doch eigentlich gar nicht so kompliziert.

Da HIV dankenswerterweise sein Schreckensgesicht verloren hat, kommt es weniger in den Medien vor. In der Allgemeinbevölkerung kriegen viele Leute wenig mit. Als meiner Mutter von der Diagnose erzählt habe, war das für sie ein heftiger Schock, weil sie nie Berührungspunkte mit HIV gehabt hatte. Die Krankheit war ganz weit weg. Ich bin dann zu ihr gefahren, um es ihr noch einmal persönlich zu erklären. Als ich ankam sagte sie: „Thomas, ich habe gerade mal im Internet nachgeguckt, und es ist ja gar nicht mehr schlimm.“

Wir finden es beeindruckend, dass Menschen so mutig sind, für eine Kampagne wie diese ihr Gesicht hinzuhalten und von sich zu erzählen. Warum nimmst du daran teil?

Ich finde es wichtig, dass authentische Menschen ihr Gesicht zeigen. Ich lebe offen mit meiner Infektion, meine Arbeitsstelle ist informiert, Familie und Freunde wissen Bescheid. Ich hatte vor ein paar Tagen das Shooting für die Kampagne, und bin noch ganz euphorisch. Weil es eine so gute Atmosphäre war, habe ich noch einmal gemerkt, dass ich etwas für eine echt gute Sache mache.

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